Richard Koch
Schlagzeug
Mein Weg zum Schlagzeug führte über die Nähzeug-Schublade meiner
Oma. Es war in den 60er Jahren. Meine gestrenge Klavierlehrerin
hatte mich schon einige Jahre lang mit Exerzitien in klassischer
Musik gequält. Mein Wunsch, auch mal "moderne" Melodien im Unterricht
zu spielen, stieß bei ihr auf grobes Unverständnis. Irgendwann
hatte das "Fräulein" Heinze einen Schüler weniger.
Schon immer hatten mich Trommeln und Schlagzeug fasziniert. Ich besaß
aber keine Trommel und schon gar kein Schlagzeug. Da entdeckte ich
Omas Nähzeug-Schublade. Dort befanden sich die verschiedensten
Schachteln und Dosen mit großen Knöpfen, kleinen Knöpfen, dünnen
Nadeln, dicken Nadeln… Mit etwas Fantasie wurde daraus ein ganzes
Trommelarsenal - heute würde man wohl Übungs-Pads dazu sagen.
Auf der Kommode über der Schublade stand das Familien-Radio Marke
Saba, an dem ich, wann immer möglich, Musiksendungen hörte. Jedes
mir interessant erscheinende Musikstück, ob Tanzmusik, Schuhplattler,
Blues oder Beat habe ich mit meinen selbst geschnitzten Hartholzstöcken
auf den Schachteln und Dosen meiner Oma mit getrommelt. Das hat
zwar meine Familie öfter ziemlich genervt, aber die ersten Schritte
zum Schlagzeuger waren getan!
Im Gymnasium hatte ich eine engagierte Musiklehrerin, die den Wunsch
einiger Schüler, eine eigene Band zu gründen, unterstützt hat. Wir
durften nachmittags den Musikraum der Schule für Proben nutzen.
Aus den Trommelutensilien für den Musikunterricht baute ich mir
ein Schlagzeug zusammen: Die große Marschtrommel wurde zur Basedrum,
das Tambourin mit einer Perlenkette bespannt zur Snaredrum, eine
Fußmaschine und eine Hit-Hat wurden in Eigenbau konstruiert und
gebastelt. Die anderen brachten Gitarren, Banjo, Klavier und
Mundharmonika ein. Wir waren zunächst um die 6 Jungs. Das war zwar
sehr nett, aber noch nicht ganz das, was einige Ehrgeizige von uns
wollten, nämlich eine richtige Beatband werden, so wie die Bands
aus England.
Dazu brauchten wir allerdings Dinge, die wir nicht hatten: zwei
E-Gitarren, eine Bassgitarre, Schlagzeug, Verstärker, Gesangsanlage
und einen Namen. Den gab es als erstes: "The Peers". Wir dachten
dabei weniger an die Bedeutung des Begriffs (Gleichaltrige), sondern
vor allem daran, dass das so ähnlich klingen würde wie die schon
bekannten "The Lords". Ein kleines Programm hatten wir uns mit den
Behelfsinstrumenten auch erarbeitet. Ein paar Mal durften wir bei
Tanzveranstaltungen mit den richtigen Instrumenten der Tanzkapellen
als Pausenfüller dem Publikum einige Hits vorspielen wie z. B.
"She loves you" von den Beatles. Das Echo war gespalten. Manche
Älteren waren auf eine solche "Krawallmusik" nicht vorbereitet.
Aber den Jüngeren hat es gefallen. Einmal hörte uns der Besitzer
einer Kneipe mit großem Tanzsaal und angeschlossenem Puff, dessen
Kundschaft vor allem aus amerikanischen Soldaten bestand. Er wollte
uns unbedingt engagieren. Der Deal war: Der Wirt bezahlt uns die
Ausrüstung und wir spielen dafür ein halbes Jahr jeden Samstagabend
von 20 bis 1 Uhr die aktuellen Hits der Beatles, Stones, Kinks usw..
Mein Vater transportierte in seinem Opel Rekord Kombi das Equipment
und war als Erziehungsberechtigter immer präsent, denn einzelne
Bandmitglieder waren anfangs noch nicht mal 16 Jahre alt. Die
amerikanische Militärpolizei, die immer wieder Schlägereien unter
den Soldaten beenden musste, interessierte sich nicht für unser
Alter und die deutsche Polizei hat sich in den Schuppen wohl nicht
rein getraut.
Anfangs sahen wir äußerlich noch relativ brav aus. Manchmal trugen
wir schmale schwarze Krawatten wie die Beatles. Als das Outfit
unserer Vorbilder bunter und wilder und die Haare länger wurden,
führten unsere Versuche, ihnen nicht nachzustehen, zu erheblichen
Auseinandersetzungen mit den Eltern. So war es meinem Vater ziemlich
peinlich, wenn ich z. B. in einer schwarz-weißen Großkaro-Hose durch
die Gegend lief.
Samstags habe ich natürlich immer den Beat Club von Radio Bremen
im Fernsehen „studiert“: wie spielt der Schlagzeuger den Song genau,
wie ist das Schlagzeug aufgebaut, was haben die Musiker für Klamotten,
welche Frisuren. Die Musik der Beat Club-Zeit ist die Musik meiner
Jugend. Ich hatte das große Glück, sie nicht nur hören, sondern
mit der regional nach und nach bekannter werdenden Band selbst spielen
zu können. Das hat mir über manchen pubertären Kummer und die Tristesse
der Provinz um Stuttgart hinweggeholfen.
"Berlin Beat Club" bedeutet für mich nach vielen anderen Musikrichtungen
als Schlagzeuger: "back to the roots" und wie damals den Saal mit
Songs zum Kochen zu bringen, die inzwischen zu Klassikern geworden
sind.
Noch eine kleine Episode, über die ich mich sehr gefreut habe:
1966 trat ich mit den Peers als Vorband der Rattles auf, die damals
mit Abstand erfolgreichste deutsche Band. Bei einem gemeinsamen
Konzert mit den Rattles 2012 konnte ich dem Schlagzeuger Dicky Tarach
nach so langer Zeit wieder die Hand schütteln, ihm ein Bild von
damals überreichen und mit ihm über die 60er Jahre plaudern.
Richard spielte bei The Peers und im Vorprogramm von Remo Four sowie den Rattles